Nachbarrecht / Schadensersatz


Zu den Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs des Nachbarn bei einem Baumsturz

AG Bensheim, Urteil vom 15.11.2013 - 6 C 374/12 (15)

Das Amtsgericht hat den geltend gemachten Schadensersatzanspruch nach Einholung eines Sachverständigengutachtens abgewiesen. Der Baum sei nocht ersichtlich schadgaft gewesen und der Umstand der hanglage und des hauptsächlichen Astbewuchses talabwärts würden sich nicht als Gefahrenmoment darstellen, wie auch das Alter des Baumes, einer Eiche von ca, 100 Jahren, nicht gefahrrelevant sei, da das Alter für die Baumgattung noch als jung anzusehen sei. Auch negierte das Amtsgericht einen AAnspruch aus dem nachbarrechtlichen Abwehranspruch analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB, da sich die Nutzung des Grundstücks im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hielt und damit dem Eigentümer keine Verantwortlichkeit trifft.


AG Bensheim, Urteil vom 15.11.2013 - 6 C 374/12 (15) -


Tatbestand

 

Die Klägersind gemeinsame Eigentümer eines Hausgrundstücks XXXstraße, Flurstück XXX, in Y. Die Beklagten sind in Erbengemeinschaft Eigentümer des oberhalbdes klägerischen Grundstücks gelegenen Waldgrundstücks „XXXX" in Y. Die Grundstücke werden durch einen öffentlichen Weg getrennt.

 

Am 09.12.2010 vor 24.00 Uhr oder in der Nacht zum 10.12.2010 stürzte eine Eiche,    die auf dem Grundstück der Beklagten stand, bei zuvor erfolgtem Schneefall um und fiel auf das Flurstück XXX. Dort entstandein Sachschaden.

 

Die .Kläger forderten die Beklagtenmit anwaltlichem Schreibenvom  15.07.2011 auf, für die Entsorgung_ von Tannenbäumen einen Betrag von 773,48 1 der unter dem 05.05.2011 seitensdes Entsorgungsunternehmens  den Klägernin Rechnung gestellt worden war ·(Anlage  K1, BI. 6 d.A.),zu zahlen: Zudem  begehrten sie entsprechend dem  Kotenvoranschlag  vom  09.06.2011  (Anlage  K2, .Bl. 7 d.A.)  für  die  Reparatur des  Maschendrahtzauns  einen  Betrag von  870,-€.  Die  Haftpflichtversicherung  der . Beklagten und diese selbst lehnten eine Zahlung ab. ·

 

Die Kläger behaupten, der Baum sei mit über 100 Jahrenüberaltert und zudem er­krankt gewesen, hindeutende Anzeichen wie der Schiefstand .in einem Winkel von 30 Grad'talwärts geneigt, der statische Aufbaumit fast ausschließlich zur Talseite hin·· gewachsenen Ästen, totes Holz in· der Krone, trockenes Laub, dünne Äste und einen rings um den Stamm angesiedelten Pilz (Riesenporling), sowie äußere_ Beschädigung, hätten die Beklagten erkennenkönnen und müssen.Deshalb habe bei der umgestürzten Eiche die Standfestigkeit bei bestimmten Witterungsbedingungen nicht mehr bestanden, was -ebenfalls bei hinreichender Überwachung erkennbar gewesen  sei.

 

Die Kläger  behaupten, durch den Sturz seien fünf Tannen auf ihrem .Grundstück zerstört und ein Maschendrahtzaun  beschädigt worden.  Diebegehrten  Kostenfür  die Entsorgung und Reparatur seien angemessen und erstere bereitsangefallen.

 

Die·Beklagten behaupten, die noch junge Eiche sei g·esund und regelmäßig auf ihre Standsicherheit hin kontrolliert gewesen. Als Ursache des Umsturzes seien heftiger Schneefall und Sturm anzunehmen.

 

Das·Gericht hat Beweiserhoben gemäß Beweisbeschluss vom 14.12.2012 (BI. 109 f. d.A.) und Beschluss·vom 03.06.2013 (BI. 141 f. d.A.) durch Einholung·eines schriftli­chen Gutachtens sowie eines schriftlichen Ergänzungsgutachtens. Wegen des Er­gebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftlichen Ausführungen des Sach­verständigen Dr. rer.nat. W. vom 04.04.2013 (BI. 116 - 131 d.A.) sowie vom 28.08.2013 (BI. 149 - 156 d.A.) Bezug genommen.

 

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

 

Die Klage ist unbegründet.

 

Die Kläger haben keinen verschuldensabhängigen deliktsrechtlichen Schadenser­ satzanspruch gegen die Beklagtenwegen der Verletzung  der  Verkehrssicherungs ­ pflicht aus§ 823 Abs. 1BGB.

 

Der Eigentümer eines Grundstücks hat im Rahmendes Möglichen dafür zu sorgen, dass von den dort stehendenBäumen keine Gefahrfür andere ausgeht, der Baum­ bestand vielmehrso angelegt ist, dass er im Rahmen des nach forstwissenschaftli ­ chen Erkenntnissen Möglichen gegen Windbruch und Windwurf, insbesondere auch gegen  Umstürzen  aufgrund  fehlender  Standfestigkeit gesichert  ist(BGH, Urteil vom 08. Oktober 2004, V ZR 84/04; BGH, Urteil vom 21. März 2003, V ZR 319/02 ; BGH, Urteil v. 2. Juli 2004, V ZR 33/04, jeweils zitiert nach juris) . Danach sind Eigentümer von Bäumen nicht nur verpflichtet, d.iese . in a.ngemessenen Abständen auf Krankheitsbefall zu überwachen , sondern auch solche Pflegemaßnahmen vorzunehmen, welche für das Beibehalten der Standfestigkeit notwendigsind. Sofern sich dabei Krankheitszeichen zeigen, sind eingehende fachmännische Untersuchung des Baumeszu veranlassen; wenn eine mangelndeStandfestigkeit erkannt wird , müssen rechtzeitig geeignete Maßnahmen gegen ein Umstürzen ergriffen werden (BGH, a.a.O.).

 

Die Beklagten haben keinen Verstoßgegen die dargestellten Maßstäbe der Verkehrssicherungspflicht begangen:

 

Nach dem Ergebnis der durchgeführten  Beweisaufnahme  durch  Einholung des  Gut- · achtens  sowie  des  Ergänzungsgutachtens  des  Sachverständigen  Dr. rer.nat. W. , 'der für die Bereiche Forstwirtschaft  und Gartenbau öffentlich  bestellt und beeidigt ist, steht'zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass Bedenken im Hinblickauf die Standsicherheit der Eiche nicht angebracht waren. Das Alter des Baumes  von etwa 100 . Jahren veranlasst  nach den schverständigen Angaben  nicht zu Sicherungsmaßnahmen, da eine Eiche diesesAlters noch als jung zu gelten hat."'

Auch der sonstige Zustanddes Baumes, den der Sacherständige anhand des teil­ weise im Bodenverbliebenen Stubben und der abgetrennten Eichenrollen feststellen konte, wies keineAuffälligkeiten auf. Insbesondere konnteder Sachversfändige Erkrankungen des Baumes oder Beschädigungen ausschließen . Letztlich gabenweder der ·Standort des Baumes am Steilhang noch die aufgrund der Neigung einseitige Beastung Anlassfür Untersuchungs- oder Sicherungsmaßnahmen. Der Sachverständige führtevielmehr überzeugend und nachvollziehbar aus, dass die fast ausschließlich zur Talseitewachsenden Äste nicht destabilisieren, sondern durch Zuwachs desStammes ausgeglichen werdenund damit dieStabilität erhöhen können.

 

Gerade Steilhängesollen mit Bäumen bewachsensein, um einen Erosionsschutz zu bieten. Die streitgegenständliche Baumsorteder Eiche gehört zu den am tiefsten wurzelnden, hiesigen Laubbäumen . Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die .schriftlichen Gutachten Bezug genommen, in denen das überzeugende Beweiser­ gebnis näher hergeleitet und in beeindruckender Präzisionherausgearbeitet ist.

 

Als Grund für den Sturz des Baumes stellt sich nach den auch insoweitüberzeugen­ den Feststellungen des Sachverständigen neben sonstigen ungünstigen Faktoren hauptsächlich der gefallene Nassschnee dar. Dies wurde durch die beispielhaft auf­ gezählten Feuerwehreinsätze in der Umgebunguntermauert . Das Gutachtenergeb­ nis, wonach ein Bruchrisiko beim zusammentreffen ungünstiger Umstände auch bei vollstandig gesundenund standsicheren Bäumennie auszuschließen ist, schließt eine verschuldensabhängige Haftungder Beklagten aus.                                                                                                                                   .

Auch eine Verantwortung der Beklagten aus dem verschuldensunabhängigen nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog ist nicht gegeben. Dieser setzt voraus, dass von einem Grundstück im Rahmen seinerprivat­ wirtschaftlichen Benutzung Einwirkungen auf ein anderesGrundstück ausgehen, die das zumutbare  Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen, sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen ge­ hindert war, diese Einwirkungen gem. § 1004 Abs . 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden. Das kann sich daraus ergeben,dass der Beroffene die abzuwehrende Gefahr_ nicht rechtzeitigerkannt hat und auch nichterkennen konnte.

 

Derjenige Eigentümer, der .auf seinem Grundstück einen Baum unterhält,  welcher allein infolge seinesAlters oder sonstigerUmstände auf das Nachbargrundstück stürzen kann, ist als Störer im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB anzusehen und ihmsind die durch Naturereignisse ausgelösten Störungen zuzurechnen, wenn sich aus der Art der Nutzung des Grundstücks , von dem die Störung ausgeht,eine "Sicherungspflicht", also eine Pflichtzur Verhinderung möglicherBeeinträchtigungen ergibt. Hierfürist u.a. entscheidend, ob sich die Nutzung des störenden Grundstücks im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hält (vgl.BGH, Urt. v. 14. November2003, V ZR 102/03;BGH, Urteil vom 08. Oktober 2004, V ZR 84/04).Auch unter diesen Gesichtspunkten ist jedoch nach dem Ergebnisder  durchgeführten  Beweisaufnahme eine Verantwortlichkeit  der Beklagtenfür das Umstürzen des Baumesnicht gegeben .

 

Die Eiche war, gemessen an der Lebenserwartung dieser · Pflanze, jung, nach den getroffenen Feststellungen gesundund am Standort den örtlichenGegebenheiten angepasst.

 

Nebenforderungen sind mangels Anspruchin der Hauptsache nicht zuzusprechen.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus §91 Abs. 1 ZPO, danachhaben die Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, weil sie unterliegen. Die Entscheidung über die. vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §§08 Nr. 11, 711ZPO.

 

 

 

vom Felde

Richterin am Amtsgericht


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AG Bansheim, Urteil vom 15.11.2013 - 6 C 374/12 (15)
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