Fitnessstudio-Vertragsrecht


Zur Frage des Kündigungsgrundes Krankheit (1)

Landgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 09.05.2012 - 2-16 S 210/11 -

LG und AG Frankfurt am Main
LG und AG Frankfurt am Main

Bei Fitnessstudio-Verträgen ist eine der möglichen Gründe für eine vorzeitige Beendigung des Vertrages gem. § 314 BGB (sogenannte fristlose Kündigung) die Erkrankung. Die Entscheidungen darüber betreffen regelmäßig die Fragen, welcher Art und tatsächlicher und zeitlicher Umfang vorliegen müssen und seit wann der Nutzer davon Kenntnis hat. Denn unstreitig ist allgemein, dass der Nutzer kündigen kann, wenn ihm für die restliche Vertragslaufzeit die Nutzung der Einrichtung aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich ist. 


Urteil im Wortlaut:


Landgericht Frankfurt am Main                                            lt. Protokoll 

 

 

Aktenzeichen: 2-16 S 210/11

2 C 1567/11 (15) Amtsgericht Bad Hornburg

Es wird gebeten, bei allen Eingaben das


verkündet am: 0 9. Mai 2012

 

vorstehende Aktenzeichen anzugeben                                                          Nickel, Justizsekretär

Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

 

 

 

 

 

 

 

Im   Namen   des   Volkes

Urteil

 

 

ln dem Rechtsstreit

 

 

 

MarXXXXXXia Dei Sol Gii-Rial, ln der AXXu 6, 61440 OberurXXXsel, 

 

Beklagte, Widerklägerin und Berufungsklägerin

 

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanw. Klaus-PXXXeter Diedrich

 

OberhXXöchstadter Str. 3, 61440XX Oberursel, gegen

enterGmbH vertr. d. d. GF, Gabionzer Straße   urKlägerin, Widerbeklagte und Berufungsbeklagte

Prozessbevollmächtigter: Rechtsanw. Ralf Niehus

 

Gerbermühlstraße 9, 60594 Frankfurt am Main,

 

 

 

hat die 16. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main durch den Richter am Landgericht lffländer,

die Richterin am Landgericht Weychardt und

 

die Richterin am Landgericht Gräfin von Bassewitz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18.04.2012 für Recht erkannt:

  

 

 

 

I. Die Berufung der Beklagten gegen das am 17.11.2011 verkündete Urteil des Amtsgerichts Bad Hornburg v.d.H., Az.: 2 C 1567/11 (15), wird zurück­ gewiesen.

II. Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.

 

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

IV.Das am 17.11.2011 verkündete Urteil des Amtsgerichts Bad Hornburg v.d.H., Az.: 2 C 1567/11 (15), ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig voll­ streckbar.

 


 

Gründe 

 

 

I.

 

 

 

Die Berufung ist nicht begründet. Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten ein Anspruchauf Zahlung von EUR 1.156,00 nebst Verzugszinsen aus dem Fitnesstrainings­vertrag vom 30.09.2010 sowie aus §§ 286, 288 BGB zu.

 

 

Wegen des der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts wird zunächst ge­mäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichenFeststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, wobei Folgendeszu ergänzen ist:

 

 

Am 22.12.2009 und am 28.04.2010 wurde die Beklagte am Nervus Ulnaris operiert. Seit Mitte 2010 litt die Beklagte an "progredient" zunehmenden Schmerzenim Bereich der Lendenwirbelsäule (künftig: LWS). Wegen der Einzelheiten der insofern durchgeführten ärztlichen Behandlungenwird auf die ArztbriefeBI. 105 - 118 d.A. Bezug genommen.

 

 

Die Beklagte verfolgt mit der Berufung sinngemäß ihren Antrag auf Klageabweisung sowie ausdrücklich ihren im Wege der Widerklage geltend gemachten Anspruch vollum­fänglich weiter. Sie meint, die Angaben zu den Kündigungsgründen der Beklagten im ärzt­lichen Attest vom 22.11.2010 (vgl. BI. 26 d.A.). und vom 28.03.2011 (vgl. BI. 25 d.A.) seien eindeutig und ausreichend. Zu weitergehendenAngaben sei sie nicht verpflichtet.Die Be-

weislast dafür, dass diese Erkrankungenbereits bei Abschluss des streitgegenständlichen Vertrages vorgelegen hätten, trage die Klägerin.

 

 

 

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil. Die vorgelegten Atteste seien nicht hinreichend aussagekräftig. Sie ergänzt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.

 

 

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandeswird auf den Inhalt der 

 

zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

 

 

 

II.

 

 

 Die Berufung ist zulässig, insbesondereform- und fristgemäß erhoben.

 

 

Soweit die Beklagte mit der Berufungsbegründung vom 20.01.2012 nicht ausdrück­ lich den Antrag gestellt hat, die Klage abzuweisen, ist dies unschädlich. Auch ohne förmli­chen Antrag ist die Berufung zulässig, wenn der Inhalt der Berufungsbegründung eindeutig ergibt, dass der Berufungskläger sein erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang wei­terverfolgen will (Ball in Musielak, Kommentar zur ZPO, 9.A., § 520, Rn. 20). Im vorliegen­den Falle ergibt sich das weitere Begehren der Beklagten, die Klage abzuweisen, zwar nicht aus dem Berufungsantrag, jedoch aus dem Inhalt der Berufungsbegründung, insbe­sondere daraus, dass die Beklagte auf Seite 3 der Berufungsbegründung, letzter Absatz, die Aufhebungdes amtsgerichtlichenUrteils verlangt.

 

Die Berufungist jedoch nicht begründet.

 

 

Im Ergebnis zu Recht hat das Amtsgericht die Beklagte zur Zahlung von

 

EUR 1.144,50 nebst Zinsen und vorgerichtlicherKosten i.H.v. EUR 12,00

 

verurteiltund die Widerklage abgewiesen.

 

 

 

Ob die Beklagte dabei erstmals mit Schreiben vom 31.03.2011 oder bereits mit ei­nem früheren Schreiben die Kündigung des Vertrages vom 30.09.2010 erklärt hat, mag dabei dahinstehen. Jedenfalls stand der Beklagten nämlich ein Kündigungsgrund nicht zur Seite, so dass die Kündigungserklärungen ins Leere gehen und die Beklagte von ihrer Zahlungspflicht nicht frei geworden ist.

 

Nachdem die Parteien die dem Vertrag vom 30.09.2010 möglicherweise zugrunde liegenden Allgemeinen Vertragsbedingungen nicht dargetan haben, kann sich ein außer­ordentliches Kündigungsrecht der Beklagten ausschließlich aus der Vorschrift des § 314 Abs. 1 und 2 BGB ergeben.

 

 

 

Demnach kommen als wichtiger Grund i.S.d. § 314 Abs. 1 BGB nur schwere Stö­rungen der Vertrauensgrundlage, wie der Verletzung von Pflichten aus dem Vertrag, ein­schließlich der Verletzung von Schutzpflichten sowie sonstige Umstände, die die Fortset­zung des Schuldverhältnisses bis zum Ablauf der vereinbarten Zeit oder der Frist für eine ordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen für den Gläubiger unzumutbar machen, in Betracht. Der wichtige Grund kann dabei insbesondere auch in einer vertraglichen Pflichtverletzung liegen. Das Vertragsverhältnis muss jedoch so schwerwiegend gestört und die Erreichung des Ver­tragszwecks so gefährdet sein, dass dem vertragstreuen Teil ein Festhalten am Vertrag nicht zugemutet werden kann.

 

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH, von der abzuweichen die Kammer keinen Anlass hat, müssen die Umstände, auf die die außerordentliche Kündigung ge­stützt wird, dem Risikobereich des Kündigungsgegners entstammen; auf Vorgänge, die dem Einfluss des Kündigungsgegners entzogen sind und aus der eigenen Interessensphä­re des Kündigenden herrühren, kann eine Kündigung regelmäßig nicht gestützt werden (vgl. hierzu Gaier, Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, § 314 BGB Rn. 10 m.w.N.). Störungen aus dem eigenen Risikobereich begründen grundsätzlich kein Kündi­gungsrecht (vgl. BGH NJW 1991, 1829; BGH NJW 1996, 714; BGH GuT 2012, 26-29).

 

 

So liegt der Fall hier. Die Beklagte stützt ihre außerordentliche Kündigung darauf, dass sie - wie im Attest des Dr. ZIMMERMANN vom 28.03.2011 niedergelegt - aufgrund einer Nervenverletzung in ärztlicher Behandlung sei; sie habe bereits mehrere Operatio­nen zum Erhalt des Nerven gehabt und leide jetzt wieder unter Schmerzen (vgl. BI. 25 d.A.).

 

 

Zu bemerken ist in diesem Zusammenhang, dass die Beklagte jedenfalls alleine deswegen die Darlegungslast zu Art, Umfang und erstmaligem Auftreten ihrer gesundheit­lichen Beschwerden trifft, weil der Klägerin näherer Vortrag hierzu weder möglich noch zurnutbar ist, während hingegen die Beklagte alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihr deswegen zumutbar ist, nähere Angaben zu machen, da ihr  - im Gegensatz zur Klägerin -  die maßgebenden Tatsachen zu ihrer Erkrankung bekannt sind.

 

 

 

Da die Operationen am 22.12.2009 und am 28.04.2010 - und damit vor Abschluss des streitgegenständlichen Fitnessvertrages - stattgefunden haben und darüber hinaus die Beklagte bereits seit Mitte 2010 an "progredient" zunehmenden Schmerzen im Bereich der LWS litt (vgl. BI. 111 d.A.), sind die von der Beklagten angeführten Kündigungsgründe al­leine in ihrer Risikosphäre zu verorten, da sie in Kenntnis ihrer Beschwerden und der durchgeführten Operationen sich gleichwohl dazu entschieden hat, sich über eine Dauer von zwei Jahren vertraglich zu binden. Die - objektiv unzutreffende - Einschätzung der Beklagten, sie sei vollständig geheilt und weitere Nervenverletzungen bzw. Schmerzen seien nicht zu erwarten, fällt in die Risikosphäre der Beklagten. Dass die Beklagte ihre gesundheitlicheSituation möglicherweise aufgrund eines unzutreffenden ärztlichen Rates objektiv falsch eingeschätzt hat, vermag die Verlagerung der Kündigungsgründeaus der Risikosphäreder Beklagten in die der Klägerin gleichfallsnicht zu begründen.

 

 

Schließlich sind die von der Beklagten vorgetragenen krankheitsbedingten Kündi­gungsgründe entgegen der von ihrem Prozessbevollmächtigen in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Ansicht nicht mit einer Schwangerschaft vergleichbar. Im Gegensatz zu der werdenden Mutter kann sich die Beklagten nicht auf Artikel 6 Abs. 4 GG beru­fen, welcher die werdende Mutter unter den Schutz und die Fürsorge der staatlichen Ge­meinschaft stellt. Der Schutzauftrag, der darin zum Ausdruck kommt, beruht mit darauf, dass die Mutterschaft auch im Interesse der Gemeinschaft liegt und deren Anerkennung verlangt (vgl. hierzu BVerfG NJW 2005, 2383); die Erkrankung der Beklagten ist deswegen mit einer Schwangerschaftnicht zu vergleichen.

 

 

Nachdem - unstreitig - die Klägerin das gesamte aus dem Vertrag noch ausste­hende Nutzungsentgelt verlangen kann, wenn die Beklagte sich mit mehr als zwei Monatsbeiträgen im Verzug befindet, kann die Klägerin auf das ausstehendeNutzungsentgelt sowie die Rücklastgebühren den Betrag von EUR 1.156,50 verlangen. Die vom Amtsge­richt ausgeurteilten Zinsen rechtfertigen sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges.

 

 Die Widerklage ist unbegründet. Da der Beklagten ein Kündigungsgrund

 

nicht zur Seite steht und der Vertrag durch die Kündigungserklärungen der

 

Beklagten nicht wirksam  beendet wurde, stehen der Klägerin die

 

Nutzungsentgelte für die Monate Dezember 2010 bis Februar 2011 zu.

 

 

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur

 

vorläufi­gen Vollstreckbarkeit rechtfertigt sich aus § 708 Nr. 10, 713 ZPO.

 

 

 

Die Revision war nicht zuzulassen, da weder eine grundsätzliche Bedeutung der Sache gegeben ist, noch zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitli­chen Rechtsprechung einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs erforderlich, § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO.

 

 

 

 

 

lffländer                               Gräfin von Bassewitz                         Weychardt

 

 


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Urteil, vollständige Fassung
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