Schadensersatz - Verkehrssicherungspflicht


Verkehrssicherungspflicht: Sturz auf dem Gehweg

AG Tauberbischofsheim, Urteil vom 27.09.2012 - 1 C 10/12 -

 Immer wieder müssen sich die Gerichte mit der Frage der Verkehrssicherungspflicht bei Schnee und Glatteis beschäftigen. 

 

Das AG Tauberbischofsheim musste über einen Schadensersatzanspruch im Zusammenhang mit einem behaupteten Glätteunfall vor einem Anwesen entscheiden, bei dem die Streu- und Räumpflicht auf die Anlieger qua Satzung delegiert war. Es wies die Klage u.a. deshalb ab, da der Geschädigte nicht den Nachweis der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht erbringen konnte. 

 

Vgl. auch die Entscheidungen > OLG Karlsruhe und > LG Landau


Urteil im Wortlaut:


Aktenzeichen: 

1 c 10/12 

 

 

 

 

 

Verkündet am 

27.09.2012

 

 

 

Amtsgericht Tauberbischofsheim


 

Grötzinger, JAng'e Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle


 

 

Im Namen des Volkes

 

  

 

Urteil


 

ln dem Rechtsstreit

 

 

MXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX

- Klägerin-

 

 

Prozessbevollmächtigte:

XXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX

 

gegen

 

GXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXXX

- Beklagter -

 

 

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte Niehus & Klimpel, Gerbermühlstr. 9, 60594 Frankfurt am Main, Gz.: 78/12N24 n/woD9/32213

 

wegen Schmerzensgeld

 

 

hat das Amtsgericht Tauberbischofsheim durch die Richterin am Amtsgericht Koch

am 27.09.2012 auf die mündliche Verhandlung vom 13.09.2012 für Recht erkannt:


 

 

 

1.                Die Klage wird abgewiesen.

 

 

2.                Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreitszu tragen.

 

 

3.               Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstre­ ckung des Beklagten durch Sicherheitsleistungin Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbarenBetrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der VollstreckungSicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckendenBetrags leistet.

 

 

 

Beschluss

 

Der Streitwertwird auf 4.338,93 festgesetzt.

 

 

 

 

Tatbestand

 

 

 

Die Klägerin verlangt Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 3000 , Schadenersatz entspre­ chend der Aufstellung im Schriftsatz vom 13. April 2012 (BI. 27 ff. der Akte, insbesondere BI. 29 und 31) in Höhe von insgesamt 1.338,93 (u.a. Attestkosten, Zuzahlungen für verschiedene me­ dizinische Maßnahmen/Behandlungen, Praxisgebühren, Reparatur der Brille, Parkgebühren und Fahrtkosten usw.) sowie Erstattung vorgerichtlich verauslagter Rechtsanwaltsgebühren.

 

Sie trägt vor, sie sei am 3. Februar 2011 vor dem Anwesen des Beklagten in Wittighausen-Vilch­ band gestürzt, als sie gegen 09:30 Uhr Rechnungender B. ausgetragenhabe. Sie sei unver­ mutet ins Rutschen gekommen und kopfüber nach hinten gestützt, wo sie mit dem Hinterkopf auf dem Straßenbelag aufgeschlagensei im Bereich der unteren Hauseckedes Anwesens des Beklagten, wo ein Fallrohr vom Dach herab zum Boden führt (Bild Seite 7 der Akte). Im Nachhin­ ein habe sich herausgestellt, dass dort Eisglätte aufgetretensei, möglicherweise aufgrund her­ ausgelaufenenWassers aus dem Rohr. Im sonstigen Bereich um die Unfallstellesei keinerlei Glätte vorhanden gewesen.Ihr sei schwarz vor Augen geworden, sie habe ein großflächiges Hä­ matom im Bereich des Hinterkopfesmit Gehirnerschütterungund Prellungenim Bereich der lin­ ken Schulter erlitten und, wie sich im Nachhinein herausgestellthabe, einen Riss zweier Bänder im Bereich der linken Schulter (Rotatorenmanschettesowie Trizeps). Außerdemhabe sie Be­ schwerdenim rechten Kniegelenk gehabt, wo aufgrund Überdrehungdie Bänder gedehnt wor­ den seien. Sie sei zunächst nachhausegefahren und sodann zu ihrem Hausarzt,der die im At­ test vom 7. März 2012 (BI. 65 der Akte) aufgeführten Verletzungen, welche unfallbedingt seien, festgestellthabe. Bei der Nachuntersuchung am 7. Februar 2011 habe ihr Hausarztsie wegen weiterhin vorhandener Schwellungmit Schmerzen am Hinterkopf und am Knie zu Frau Dr. S. überwiesen. Frau Dr. S. habe die im Gutachten vom 19. März 2012 (BI. 67 ff. der Akte) festgehaltenen Verletzungenfestgestellt, die auch alle unfallbedingtseien. Die Klägerin sei wegen Schmerzenim Bereich der linken Schulter, die sie vor dem Unfall nicht gehabt habe, in die Schultersprechstunde des KrankenhausesWertheim überwiesenworden. Die Klägerin habe wegen des Sturzes nicht nur eine Schädelprellung und eine Gehirnerschütterung sowie eine HWS-Distorsion erlitten, sondern auch eine SSP-Ruptur links. Alle in den Berichten des Kranken­ haus Wertheim vom 28. März 2011 (Blatt 73 ff. der Akte), vom 27. April 2011 (BI. 77 ff. der Akte) sowie vom 20. Juni 2011 (BI. 81 ff. der Akte) festgehaltenen Diagnosen und Befunde seien zutref­ fend und die Verletzungen unfallbedingt Zunächst habe sich die Untersuchung bei ihrem Haus­ arzt darauf konzentriert festzustellen, ob ein Wirbel verletzt sei. Erst das MRT habe ergeben, dass im Bereich der Schulter die Rotatorenmanschette links gerissen sei; dort habe sie vorher keinerlei Beschwerden gehabt. Die Schulterbeschwerden hätte sie wegen der starken Schmerz­ mittel erst einige Zeit nach dem Sturz bemerkt. Die Verletzungsfolgen hätten operativ und statio­ när im Krankenhaus Wertheim versorgt werden müssen. Krankengymnastische Behandlungen vor und nach der Operation seien notwendig gewesen, die Verletzungsfolgen hätten monatelang angehalten. Der Beklagte sei seiner Verkehrssicherungspflicht nicht nachgekommen, er hätte räumen/streuen müssen. Es hätten winterliche Temperaturen geherrscht. Der Weg vor seinem Anwesen werde allgemein genutzt. Laut Gemeindesatzung sei die Räum- und Streupflicht auf

die Anlieger übertragen worden. Andere Grundstückseigentümer hätten dies berücksichtigt und gestreut. Der Beklagte habe mit Glatteis rechnen müssen. Entsprechende Maßnahmen habe er nicht eingeleitet, weshalb er nicht nur ein angemessenes Schmerzensgeld in der Größenord­ nung von mindestens 3000 schulde, sondern der Klägerin auch ihre Auslagen ersetzen müs­ se, die sie aufgrund ihres Sturzes gehabt habe wie Fahrtkosten zu den Ärzten und zum Kranken­ haus, Parkgebühren, Zuzahlungen, Ausgaben für Medikamente, Ausgaben für die Praxisgebühr und die Einholung von Attesten und Gutachten, für die Reparatur der Brille etcetera.

 

Die Klägerin beantragte zuletzt:

 

 

1.                   Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld resultie­ rend aus dem Vorfall vom 3. Februar 2011 zu bezahlen sowie die Klägerin von außerge­ richtlichen Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 316,18 freizustellen zzgl. 5% über dem Ba­ siszinssatz hieraus ab 2. Mai 2012.

 

2.         Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 1.338,93 zu

           bezahlen  zzgl. 5 % über dem Basiszinssatz hieraus ab Rechtshängigkeit.

 

 Der Beklagte beantragte:

Die Klage wird abgewiesen.

 

 

Der Sturz der Klägerin sei mit Nichtwissen zu bestreiten. Vorgerichtlich habe die Klägerin den Vorfall noch anders dargestellt und behauptet, nach Betreten des gepflasterten Bereichs sei sie wegen Glätte zur Seite gegangen, sie habe auch von Bewusstlosigkeit gesprochen, während sie jetzt behaupte, lediglich benommen gewesen zu sein. Alle behaupteten Verletzungen würden be­ stritten, auch die Unfallbedingtheit ln dem Bereich, in dem die Klägerin gestützt sein wolle, verlau­ fe eine Wasserrinne auf der Straße, die direkt zu einem Gully führe. Rinnen dienten bekanntlich der Aufnahme von Wasser und nicht als Fußweg. Selbst wenn Glatteis aufgetreten sein sollte, lä­ge ein erhebliches Mitverschulden vor, zumal die Klägerin auch mit den Örtlichkeiten vertraut sei. Der Beklagte habe nicht mit Glatteis rechnen müssen, weil ansonsten nirgendwo Glatteis ge­ wesen sei. Der Inhalt von Räum- und Streupflichten richte sich nach den Umständen des Einzel­ falls und insbesondere nach Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs und der Stärke des zu erwar­ tenden Verkehrs. Die Pflicht stehe unter dem Vorbehalt des Zumutbaren. Die Klägerin trage

selbst vor, es habe zur fraglichen Zeit genieselt. Die Klägerin habe daher mit einer plötzlichen Glatteisbildung rechnen müssen. Eine Beschädigung der Brille werde bestritten, zumal sie sich einen Abzug "neu für alt" anrechnen lassen müsse. Vor allem aber resultiere der Riss der Rotato­ renmanschette keinesfalls aus dem Unfall, die Klägerin habe unter Vorschäden gelitten. Die Stel­ lungnahmen der aufgesuchten Ärzte seien nicht von Relevanz, zumal sie sich mit dem geschil­ derten Geschehensablauf nicht in Übereinstimmung bringen ließen. Vor diesem Hintergrund sei  es auch nicht notwendig gewesen, für die Einholung von "Gutachten" und Attesten Geld auszuge­ben. Ein Anspruch auf Auslagenerstattung gegen den Beklagten bestehe nicht. Im übrigen be­ stritt der Beklagte alle geltend gemachten Schadensersatzansprüche dem Grunde und der Hö- he nach. Selbst wenn die Klägerin tatsächlich aufgrundeiner Pflichtverletzung des Beklagten

vor dessen Anwesen gestürzt sein sollte, habe allenfalls eine Schädelprellung mit Blutergussbil­ dung am Hinterkopf vorgelegen. Wie sich aus den Attesten/Gutachten ergebe, hätten keine neuro­ logischen Auffälligkeiten bestanden und keine Fraktur, allenfalls habe die Klägerin unter Kopf­ schmerzen gelitten. Die Verletzung des rechten Kniegelenkes sei offensichtlich ebenfalls schnell abgeklungen, ohne bleibenden Schäden zu hinterlassen, zumal sich im Bericht von Frau Dr. S. nichts über das rechte Kniegelenk finde. Beschwerden an der Halswirbelsäule seien mit zeitlicher Verzögerung aufgetreten und erstmals am 11. Februar 2011 registriert wor­ den, objektivierbare Verletzungszeichen im Bereich der Halswirbelsäule seien direkt nach dem Vorfall nicht nachweisbar gewesen. Die Klägerin sei wegen Wirbelsäulenbeschwerden bereits berentet. Auch Hinweise auf eine Verletzung der Klägerin im Bereich der linken Schulter direkt nach dem Unfall fehlten, erstmals im März 2011 sei Derartiges von einem Arzt erwähnt worden. Der Sturz sei ungeeignet, eine traumatisch bedingte Ruptur der Supraspinatussehne herbeizu­ führen, welche im übrigen unmittelbar nach dem Sturz deutliche Schmerzen und Funktionsstö­ rungen des betroffenen Schultergelenks hervorgerufen hätte und nicht erst mit zeitlicher Verzöge­rung.

 

Das Gericht hat mit den Parteien am 13. September 2012 mündlich verhandelt. Die Klägerin und der Beklagte wurden informatorisch angehört. Der Ehemann der Klägerin wurde als Zeuge vernommen, ebenfalls eine Bekannte der Klägerin, welche sie als Augenzeugen benannt gehabt hatte. Die von der Klägerin vorgelegten Lichtbilder der Unfallstelle wurden in Augenschein genom­ men. Die Atteste der Ärzte wurden zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

 

Im Attest des Hausarztes der Klägerin (BI. 65 d. A.) ist festgehalten, sie habe sich am 3. Febru­ ar 2011 vorgestellt und angegeben, auf feucht-rutschigem Gehweg ausgerutscht zu sein und da­ bei den Hinterkopf angeschlagen und das rechte Knie verdreht zu haben. Bei der klinischen Un­ tersuchung seien keine neurologischen Ausfälle zu verzeichnen gewesen, am Hinterkopf sei ei­ ne ca. 3 cm große Schwellung zu verzeichnen gewesen ohne Verletzung der Haut. Das rechte Knie sei diffus druckschmerzhaft gewesen, Bandinstabilität habe nicht bestanden. Es wurde ei­ ne Behandlung durch Schonen, Kühlen und mit lbuprofen empfohlen.

 

ln dem Gutachten von Frau Dr. S. vom 19. März 2011 (BI. 67 d. A.) ist zu lesen, die Kläge­ rin habe sich am 11. Februar 2011 behandeln lassen und angegeben, sie sei auf den Hinterkopf gestürzt mit kurzer Bewusstlosigkeit, am Unfalltag habe sie unter Erbrechen und Kopfschmer­ zen gelitten. Die Gelenke der oberen Extremitäten seien frei beweglich gewesen, Motorik, Sensi­ bilität und Reflexe regelgerecht, ebenfalls die Durchblutung. Es sei eine deutliche Verspannung der Schulter-/Nackenmuskulatur zu bemerken gewesen. Beim Röntgen seien keine frischen knö­ chernen Verletzungen feststellbar gewesen. Es sei ein CT des Schädels mit oberer Halswirbel­ säule eingeleitet worden. Akute Traumafolgen seien ausgeschlossen worden. Bei der Behand­lung am 4. März 2011 habe die Klägerin auch über Schmerzen im Bereich der linken Schulter geklagt, die seit dem Unfall aufgetreten seien. Die Kopfschmerzen seien rückläufig. Die Klägerin sei in die Schultersprechstunde zur Sonographie mit der Fragestellung der Rotatorenmanschet­te links überwiesen worden. Als Diagnosen wurden aufgezeichnet Schädelprellung, commotio cerebri, HWS-Distorsion, SSP-Ruptur links. Laut Bericht hat sich beim CT des Schädels (81. 71 d. A.) kein Nachweis einer Fraktur und kein indirekter Hinweis für eine alarische Verletzung gefun­

den, hingegen deutliche atlantodentale degenerative Veränderungen (81.71 der Akte).

 

 

Im Bericht des Krankenhauses Wertheim vom 27. April 2011 (81.77 d. A.) ist zu lesen, die Kläge­ rin leide seit dem 1. April 2011 nach Sturz über zunehmende Schmerzen bei Belastung der lin­ kenSchulter, das MRT der linken Schulter am 1. April habe eine SSP-Ruptur links gezeigt, wes­ halb unter anderem intensive passive krankengymnastische Übungen und postoperativ ein Schul­ terabduktionskissen für sechs Wochen empfohlen worden sei.

 

Hinsichtlich der übrigen Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift sowie die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

 

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

 

 

Die, auch mit Blick auf die Klageerweiterung, 263 ZPO, zulässige Klage ist unbegründet. Der Klä­ gerin ist der Nachweis nicht gelungen, dass der Beklagte seine Verkehrssicherungspflicht ver­ letzthat und sie deshalb auf Glatteis gestürzt ist, wodurch sie sich alle geschilderten Verletzun­ gen zugezogen habe verbunden mit den von ihr vorgetragenen Ausgaben.

 

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzens­ geld gemäß den §§ 823 Abs. 1 8GB, 253 BGB. Daher kann sie auch keine Verzugszinsen oder Erstattung ihrer Rechtsanwaltskosten verlangen.

 

 

Zwar ist der Beklagte, was er auch nicht bestreitet, als Grundstückseigentümer grundsätzlich ver­ kehrssicherungspflichtig. Unbestritten obliegt ihm auch die Räum- und Streupflicht, die mit Orts­ satzung (Streupflicht-Satzung vom 5. Dezember 1989 der Gemeinde Wittighausen) auf ihn über­ tragen worden ist. Es zulässig, dass der Träger der Straßenbaulast den Winterdienst vor dem Grundstück auf den Angrenzer überträgt. Dies betrifft allerdings den an das Grundstück angren­ zenden Gehweg bzw. den Bereich zwischen Grundstück und Straße, hingegen nicht die öffentli­ che Straße selbst, § 3 der Ortssatzung. Gibt es, wie hier, keinen Gehweg, erstreckt sich die Räumpflicht auf eine Fläche in einer Breite von einem Meter, § 3 Nr. 2 der Satzung.

 

 

Vor diesem Hintergrund könnte bereits fraglich sein, ob die Klägerin tatsächlich in einem Be- reich gestützt ist, wo der Beklagte räum- und streupflichtig gewesen ist. ln ihrer informatori- schen Anhörung konnte sie keine klare Angabe dazu machen, wo sie überhaupt hingefallen ist. Sie hat lediglich angegeben, sie sei von oben gekommen und irgendwo links neben der Rinne, die auf der Straße vor dem Anwesen des Beklagten bergab verläuft, gestürzt, in etwa der Höhe des an der Hausecke befindlichen Fallrohrs, welches im Übrigen unter die Straßendecke läuft, wie das-im übrigen ortskundige-Gericht auch anhand des vorgelegten Lichtbilds feststellen konnte. DiegenaueUnfallstelle ließ sich nicht lokalisieren. Augenzeugen sind nicht vorhanden. Die Zeugin Schnittger hat den eigentlichen Sturz nicht gesehen, sie hat lediglich vorgetragen, sie habe einmal beim Vorbeifahren aus dem Augenwinkel eine Person in diesem Bereich mor­gens gegen 9:30 Uhr straucheln, allerdings nicht fallen sehen. Sie habe die Klägerin zwar als Per­son nicht erkannt. Alles sei zu schnell gegangen. Die Zeugin geht jedoch (nachvollziehbar) da­von aus, es habe sich um die Klägerin gehandelt. Die von ihr beobachtete Person sei jedenfalls nicht in der Mitte der Straße, sondern eher auf Seiten des Anwesens des Beklagten ins Strau­ cheln geraten. Unabhängig davon, dass bereits nicht sicher feststeht, dass die Zeugin über­ haupt den hier streitgegenständlichen Vorfall und nicht etwa eine andere Begebenheit beobach­ tet hat, da sie erst im Nachhinein nach einem Gespräch über den Sturz der Klägerin den Schlussgezogen hat, dass es sich bei der von ihr wahrgenommenen Person um die Klägerin handeln müsse, konnte jedenfalls auch die Aussage der Zeugin nichts dazu beitragen, die ge­ naue Unfallstelle deutlich zu lokalisieren.

 

Doch selbst wenn man davon ausgehen sollte, dass die Klägerin tatsächlich in einem Bereich von einem Meter vor dem Anwesen des Beklagten gestürzt ist, für den dem Beklagten die Streu­pflicht oblag, ließ sich durch die mündliche Verhandlung und Beweisaufnahme nicht feststellen, dass die Klägerin, wie in der Klageschrift behauptet, auf einer Eisfläche ausgerutscht ist. Dies hat die Klägerin in ihrer informatorischen Anhörung selbst nicht eindeutig gesagt. Sie sagte, sie habe sich danach die Stelle nicht näher angesehen und könne nicht sagen, warum sie gefallen sei. Sie sprach davon, die Stelle sei feucht/rutschig gewesen, es habe ihr quasi "die Füße nach vorne weggezogen". Auch gegenüber ihrem Hausarzt hat sie ausweislich des von ihr vorgelegten Attests davon gesprochen, sie sei "auf rutschig-feuchtem Gehweg ausgerutscht".

 

Die Klägerin konnte auch ebenso wenig wie die Zeugin darlegen, wie die Temperaturen damals gewesen sind oder die Wetterlage. Laut Angaben der Klägerin habe es genieselt. Als sie von zu­ hause weggefahren sei, sei es nicht glatt gewesen. Dort wo sie ihr Auto geparkt habe, sei es ebenso wenig glatt gewesen, auch nicht auf ihrem Weg bis zum Anwesen des Beklagten. Die Zeugin hat gesagt, wäre es an diesem Tag glatt gewesen, wäre sie nicht weggefahren, da sie sehr ängstlich sei, wenn winterliche Straßenverhältnisse herrschten. Vor diesem Hintergrund lässt sich daher auch nicht nachweisen, dass überhaupt die allgemeine Gefahr von Glatteisbil­ dung vorgelegen hat bzw. die Klägerin tatsächlich auf Glatteis ausgerutscht ist. ln dem Bereich des vorgetragenen Sturzes ist der Weg gepflastert, nicht geteert. Es ist nicht fernliegend, dass die Klägerin etwa wegen Nässe ausgerutscht ist. Laut Ortssatzung ist den Angrenzern nur die Pflicht übertragen, den Gehweg oder die Fläche vor ihrem Haus von Schnee zu befreien und bei Glätte zu streuen. Die Anlieger müssen nicht dafür sorgen, dass Passanten nicht auf feuchten Pflastersteinen ausgleiten. Am Zustand der Straße oder des Gehwegs können und müssen sie nichts ändern.

 

Darüberhinaus gibt es keine Pflicht, an Frosttagen eis- und schneefreie Flächen auf kleinere Eisstellen hin zu untersuchen, die etwa durch verschüttete Flüssigkeit oder Ähnliches hervorge­rufen worden sind (vergleiche Aufsatz von Horst: Der nächste Winterdienst kommt bestimmt! im NZM 2012, Seite 513, 520, zitiert nach beck-online). Generell ist es nicht zumutbar, die zu streuende Fläche ständig auf nicht vorherzusehende Glätte bzw. Gefahrenherde hin zu kontrollie­ ren, ohne dass die Wetterlage dazu konkret Anlass gibt (vergleiche Horst am angegebenen Ort mit weiteren Nachweisen). Dass aus dem Regenrohr Wasser ausgelaufen ist, hat die Klägerin lediglich ins Blaue hinein und ohne objektiven Anhaltspunkt vermutet, zumal dies unwahrschein­ lich erscheint vor dem Hintergrund, dass das Rohr in den Boden abgeführt wird.

 

Die Beweislast für eine witterungsbedingte örtliche Straßen- bzw. Gehwegslage, die eine verletz­te Winterdienstpflicht ausgelöst hat, liegt beim Geschädigten, ebenso wie der Nachweis eines Kausalzusammenhangs zwischen verletzter Pflicht und Schaden. Allein die Tatsache, dass je­ mand bei Glätte gestürzt ist, begründet noch keinen Anscheinsbeweis für die Verletzung der Rä­ um- und Streupflicht. Erst wenn die Verletzung der Winterdienstpflicht feststeht, greift der An­ scheinsbeweis für die Kausalität ein, nach welcher die Verletzung der Streupflicht für den Glätte­ unfall ursächlich geworden ist (vergleiche Horst am angegebenen Ort mit weiteren Nachweisen). Nach den allgemeinen Grundsätzen der Beweislastverteilung muss der Verletzte alle Um­ stände beweisen, aus denen eine Streupflicht erwächst und sich eine schuldhafte Verletzung die­ ser Pflicht ergibt. Er muss deshalb den Sachverhalt dartun uhd gegebenenfalls beweisen, aus dem sich ergibt, dass zur Zeit des Unfalls aufgrund der Wetter-, Straßen- oder Gehweg-Lage be­ reits oder noch eine Streupflicht bestand und diese schuldhaftverletzt worden ist (vergleiche Ur­teil des Bundesgerichtshofs vom 12. Juli 2012, Az. VI ZR 138/11 in NJW 2012, 2727, zitiert nach Beck-oniine mit weiteren Nachweisen). Die winterliche Räum- und Streupflicht beruht auf der Ver­ antwortlichkeit durch Verkehrseröffnung und setzt eine konkrete Gefahrenlage, das heißt eine Ge­ fährdung durch Glättebildung bzw. Schneebelag voraus.

 

Grundvoraussetzung für die Räum- und Streupflicht auf Straßen oder Wegen ist das Vorliegen ei­ ner allgemeinen Glätte und nicht nur das Vorhandensein einzelner Glättesteilen (vergleiche Bun­ desgerichtshof am angegebenen Ort mit weiteren Nachweisen). Bei öffentlichen Straßen und Gehwegen sind dabei Art und Wichtigkeit des Verkehrswegs ebenso zu becksichtigen wie sei­ ne Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs. Die um- und Streupflicht be­ steht also nicht uneingeschränkt (vergleiche Bundesgerichtshof am angegebenen Ort). Sie steht vielmehr unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, wobei es auch auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt.

 

 

Selbst nach dem Vortrag der Klägerin lagen im Bereich des Grundstücks des Beklagten keine für sie erkennbaren Anhaltspunkte für eine ernsthaft drohende Gefahr vor . Sie hatte weder auf der Straße noch auf dem Weg zu seinem Anwesen vereiste Stellen bemerkt. Vor diesem Hinter­ grund kann schon nicht von einer allgemeinen Glättebildung ausgegangen werden. Welche Wet­ terlage am Unfalltag geherrscht hat, steht nicht mit hinreichender Sicherheit fest und konnte auch von der Klägerin selbst nicht angegeben werden. Dass ihr Ehemann gesagt hat, in Bad Mergentheim hätte man um 09:30 Uhr davon gesprochen, dass es "anziehe" und es glatt werde/sei, lässt nicht den Rückschluss zu, dass dies am Unfallort ebenso gewesen sein muss, zumal die Zeugin Schnittger gesagt hat, es sei nicht glatt gewesen. Selbst wenn die Klägerin tat­ sächlich auf einer Eisfläche ausgerutscht sein sollte, lässt sich daraus nicht der Rückschluss ei­ ner allgemeinen Glättebildung mit der Folge des Eintretens der Streupflicht ziehen. Sind auf ei­ nem Zuweg nur vereinzelte Glättestelien erkennbar, ist noch keine Streupflicht begründet, da es an einer allgemeinen Glättebildung mangelt (vergleiche BGH am angegebenen Ort mit weiteren Nachweisen).

 

Doch selbst wenn man vor dem Hintergrund, dass die Klägerin (erstmals) in der mündlichen Ver­ handlung angegeben hat, sie habe unmittelbar vor ihrem Sturz eine Unterhaltung zwischen der Ehefrau des Beklagten und einer Fußgängerin vernommen, wobei die Fußgängerin (wohl eine Be­ kannte der Ehefrau des Beklagten) dessen Ehefrau darauf hingewiesen habe, dass es glatt wer­ de, davon ausgehen sollte, dass tatsächlich eine allgemeine Glättebildung eingesetzt hat zu

dem Zeitpunkt, als die Klägerin gestürzt ist und sich verletzt  hat, folgte daraus nicht automatisch eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht Der Hauseigentümer ist nicht verpflichtet, rund um die Uhr den Gehweg eisfrei zu halten. Die Pflicht ist mit Blick auf den zeitlichen Umfang dar­ auf begrenzt, das zu tun, was die "billige Rücksicht nach der Verkehrsauffassung" gebietet (ver­ gleiche Urteil des OLG Düsseldorf vom 20. Juni 2000, Az. 24 0 143/99, zitiert nach juris mit wei­ teren Nachweisen). Der Umfang der Streupflicht lässt sich zeitlich nicht generell festlegen, weil die Verkehrsbedürfnisse je nach Einzelfall variieren (OLG Düsseldorf am angegebenen Ort). Ge­ mäß § 7 der Ortssatzung müssen die Wege werktags bis 7:00 Uhr geräumt und gestreut sein. Fällt nach diesem Zeitpunkt noch Schnee oder tritt Schnee- bzw. Eisglätte auf, ist unverzüglich, bei Bedarf auch wiederholt, zu räumen und zu streuen. Unverzüglich bedeutet ohne Schuldhaf­ tes Zögern.


 Nach dem eigenen Vortrag der Klägerin hat die Glättebildung, wenn überhaupt, gerade zu die­ sem Zeitpunkt begonnen. Sie selbst habe beim Verlassen ihres Hauses gestreut, da sie davon ausgegangen sei, es werde nun glatt werdenangesichtsdesNieselregens. Zu diesem Zeitpunkt sei es aber noch nicht glatt gewesen. Hätte bereits Glätte geherrscht, wäre sie nicht losgefah­ ren. Ähnliches hat die Zeugin Sch. gesagt. Die Entfernung vom Wohnort der Klägerin zum Anwesen des Beklagten ist kurz, nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung lag kein großer zeitlicher Abstand zwischen dem Verlassen ihres Hauses, dem Abstellen des Fahr­ zeugs am Brunnen und dem Sturz vor dem Anwesen des Beklagten. Gerade in diesem Mo­

ment, als sie das Anwesen passiert gehabt habe, habe sie auch das Gespräch über die Glättebil­dung vernommen. Es sei ca. 09:30 Uhr gewesen. Ihr Ehemann hat als Zeuge angegeben, eben­ falls gegen 09:30 Uhr von Kunden darauf hingewiesen worden zu sein, dass es glatt sei. Er ha­ be dann, sobald es seine Zeit zugelassen habe neben der Kundenbetreuung/-bedienung, die not­ wendigen Maßnahmen ergriffen und gestreut.

 

Zwar muss notfalls, je nach Wetterlage, mehrmals am Tag, auch im Abstand von wenigen Stun­ den, geräumt und gestreut werden (Horst am angegebenen Ort, Seite 519, mit weiteren Nach­ weisen). Auch ein andauernder gefrierender Sprühregen macht Streumaßnahmen nicht von vorn­ herein zwecklos, so dass auch in diesem Fall grundsätzlich eine Haftung des Verkehrssiche­ rungspflichtigen in Betracht kommt. Allerdings muss ihm auch die Chance gegeben werden, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen. Es wäre unzumutbar zu erwarten, dass in der Sekunde Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen, in der die Gefahr erstmals wahrgenommen wer­ den kann. Die Maßnahmen müssen unverzüglich getroffen werden, also ohne Schuldhaftes Zö­ gern. Auch wenn man die Richtigkeit des klägerischen Vortrags unterstellt folgt daraus nicht, dass zu dem Zeitpunkt des Sturzes bereits eine Verkehrssicherungspflicht verletzt worden ist. Die Klägerin trägt selbst vor, sie sei praktisch mit dem Einsetzen der Gefahr schon gestürzt. So hat ihr Ehemann glaubhaft gesagt, er habe sie unverzüglich informieren wollen, als er von Glätte­ bildung gehört hat. Bei dem Anruf habe sie ihm gesagt, die Warnung komme zu spät, die Ge­fahr habe sich bereits realisiert.

 

 

Es kommt daher nicht darauf an, ob und wann die Ehefrau des Beklagten am streitgegenständli­ chen Tag gestreut hat, wie von ihm erstmals in der mündlichen Verhandlung behauptet. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Verletzungen, die die Klägerin sich bei dem Sturz zugezogen haben will, tatsächlich alle unfallbedingt sind und nicht auf einer Vorschädigung beruhen. Der Be­ klagte haftet nicht für die Folgen des Sturzes. Er muss daher weder Schmerzensgeld noch Schadenersatz leisten. Ohne Anspruch in der Hauptsache gibt es auch keinen Anspruch auf Zah­ lung von Verzugszinsen oder Erstattung verauslagter Rechtsanwaltsgebühren. Die Klage war insgesamt abzuweisen.

 

Die Kostenfolge beruht auf§ 91 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in den§§ 708, 711 ZPO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf§ 3 ZPO, § 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz.

 

 

 

Koch

Richterin am Amtsgericht


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